Neubau: 1884 bis 1888 / Baukosten: 186.000 Goldmark (etwa 1.833.960 Euro)
Beteiligte:
Hermann Rüppel, Königlicher Baurat, Land-Bauinspektor und Architekt, Kassel; Reinhard Holzapfel, Maurermeister, Eschwege; Friedrich Potente, Privatbaumeister, Kassel; Eduard Holzapfel, Zimmermeister, Eschwege; Nikolaus Müller, Bauführer; Carl Gernhard, Maurerpolier, Wanfried; Gustav Besser, Architekt und Ingenieur, Wanfried; Fa. Jung, Zimmerei, Wanfried-Aue; Fa. Hengsbach, Dachdecker, Kassel; Fa. Hochapfel, Altar- und Kanzelbau, Kassel; Fa. Gebr. Ely, Kirchenfenster, Kassel-Wehlheiden; Fa. F.W. Weule, Turmuhr, Bockenem; Fa. Fischer und Stiehl, Heizungsanlage, Kassel; Reinhard Hochapfel, Dekorationsmaler, Kassel; Wanfrieder Handwerker: Lorenz Kniriem, August Albrecht, Adam Enters, Christian Breßler, Georg Stück, Georg Zeuch, Friedrich Daul, Wilhelm Jung
Restaurierung: 2008 bis 2013 / Renovierungskosten: 620.000 Euro
Beteiligte:
Institut für Konservierung und Restaurierung unter der Leitung von Gerd Belk.
Ausführung: Thomas Auel, Dietmar Frenzel, Jens Schirmer und Alexander Klassen.
Architekturbüro Eberhardt & Apel mit Dipl.-Ing. Walter Henning.
Evangelische Landeskirche von Kurhessen – Waldeck mit Architekt Rudolph Toursel.
Kirchenkreis Eschwege, Dekan Dr. Martin Arnold und Kirchenkreisamtsleiter Andreas Koch.
Firma Feige (Elektroinstallation); Firma „Fritz macht Licht“ (Beleuchtung)
Landesamt für Denkmalpflege Hessen unter der Leitung von Prof. Dr. Gerd Weiß, mit den Bezirkskonservatoren Dr. Verena Jacobi, Dr. Maria Wüllenkemper, Dr. Claus Wolf und Sven Raecke.
Diese Bildtafel zeigt den Apostel Marcus. Es ist eine von vier Bildtafeln, die aus dem Vorgängerbau erhalten gebieben sind. Diese Holzkapelle trug den Namen St. Veits- oder Vituskirche. Der Heilige Vitus lebte um 303 in Sizilien und gehört zu den 14 Nothelfern. In mehr als 1.000 Jahren, in der Stadt und Gemeinde wuchsen, kam es an der St. Veitskirche zu einigen Um- und Ausbauten. Auch 1692 wurde die Kirche umgebaut und außerhalb eine Freitreppe angelegt. Im selben Jahr wurden die letzten 1.000 Taler für die Verleihung der Stadtrechte bezahlt.
In die Jahre gekommen und gefährlich baufällig, musste in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Abriss der Kirche beschlossen werden. Der letzte Gottesdienst in der St. Veitskirche fand am 7. September 1884 statt. Nur wenige Gegenstände aus der St. Veitskirche sind erhalten geblieben. Darunter die Bilder einiger Apostel und Epitaphien. Im Vorraum der Kirche hängt die Grabplatte des Petrus Paganus (1532 – 1567), einem bedeutenden Literaten seiner Zeit. Sie ist unscheinbar, aber von großem Wert. Schließlich wurde Paganus 1560 in Wien zum „poeta laureatus“ ernannt, dem Lorbeer gekrönten Dichter. Zu seinen bekanntesten Werken gehört eine elegische Ansprache an den gekreuzigten Christus. Die Gebeine des „author Petrus Poeta“ liegen unter der St. Veitskirche begraben.
Nach dem Abriss der St. Veitskirche entwarf der Königliche Baurat Hermann Rüppel aus Kassel eine neue Kirche. Architekten, Handwerker und Dekorationsmaler schufen ein Meisterwerk neugotischer Baukunst. Die Größe der Sandsteine, die Ausmaße der Rundbögen, Fenster und Dächer zeugen noch heute davon, dass auf kleiner Fläche Großes geschaffen wurde. Das Eschweger Kreisblatt schreibt im Oktober 1888: „Wir hatten Gelegenheit, den in unserer Nachbarstadt Wanfried errichteten Prachtbau zu bewundern und müssen gestehen, dass er sich den Besten seiner Zeit würdig anreiht.“
Der Schatten des Kirchengebäudes fällt auf die Nachbargrundstücke. Der Kirchplatz ist klein, die Umgebung eng bebaut, der Glockenturm mit dem vergoldeten Wetterhahn prägt das Gesicht der Stadt. Der Kirchenbau ist eine außergewöhnliche Arbeit aus dem 19. Jahrhundert. Die dreischiffige Hallenkirche mit Querhaus ist ein Natursteinwerk im neugotischen Stil. Die Steine der Rippenansätze stammen aus Altenburschlaer, die der Pfeiler aus Madelunger Sandsteinbrüchen. Das Gewölbe wurde aus Tuffsteinen gefertigt.
Die Kirche hat eine quadratische Vierung und einen weiten Querrahmen. Fünf Schlusssteine machen das Gewölbe selbsttragend. Auf den Säulen sitzen fein gearbeitete Kapitelle. Die frühgotischen Formen wirken an einigen Stellen verspielt. Die Spitzen im Vierpass der Chorfenster überkreuzen sich, die Säulen weisen eine doppelte Wirbelung auf, die Blenden im Seitenschiff sind durchbrochen.
Hermann Rüppel war ein Schüler von Georg Gottlob Ungewitter (1820 – 1864). In Wanfried geboren, lehrte er als Architekt und Baumeister an der Höheren Gewerbeschule in Kassel. Er zählte zu den ersten Vertretern der Wiederbelebung gotischer Formen in Deutschland. Die feinen Details von Säulen und Fenstern, die Rüppel entwarf, sind wahrscheinlich der Lehre Ungewitters zu verdanken.
Für den landeskirchlichen Architekten Rudolf Toursel ist im Jahr 2007 die Reinheit des neugotischen Baustils von großer Bedeutung. Innen wie außen hat Kollege Rüppel diese umgesetzt. Bei anderen Kirchen dieser Zeit finden sich meist viele Stilrichtungen an einem Gebäude, die Wanfrieder Kirche gilt als „schulmäßig stilrein“. Ein Blick aus dem Inneren der Kirche zeigt die unmittelbare Nähe zur Gemeinde. Der halbrunde Treppenaufgang in der Schlagdstraße dient seit Beginn der Fotografie als Bühne der Erinnerung an Hochzeiten, Taufen und Konfirmationen.
Länge: 37 Meter, Breite: 25 Meter, Firsthöhe: 21 Meter im Kirchenschiff, 52 Meter im Kirchturm, 3.300 Quadratmeter Wände und Decken, 900 Laufmeter Rippen und Dienste.
Die Gebrüder Peternell aus Seligenthal bei Schmalkalden bauten die Orgel und stellten sie 1888 auf. Das Orgelgehäuse wurde in „neogotischer Manier“ gehalten. In der Wanfrieder Orgel stecken 1736 Pfeifen aus Zinn, Zink und Holz. Die Orgelwerkstatt Peternell war bekannt für ihre romantisch klingenden Orgeln. Passend zur wunderbaren Ausmalung hob der Klang dieser Orgel die romantische Schönheit der Kirche noch hervor. Nach einem Umbau in den 1960er Jahren wurden die Pfeifen im Stil der Zeit verändert und die romantischen Klänge zurückgenommen. Auch heute noch füllt die „Königin der Instrumente“ mit ihren 26 klingenden Registern, auf zwei Manualen und Pedal den Raum mit Musik der Jahrhunderte aus.
Die Orgel wird nun seit fast 40 Jahren vom Organisten Hans-Jörg Schneider bespielt. Die Gemeinde schätzt seine beherzte und beschwingte Art des Spiels und seine tollen Improvisationen. Gefragt, wann er diese komponiere, sagte er einmal: „Das spiele ich immer so, wie es mit an dem Tag eingegeben wird!“
Die Orgel in Wanfried „Zum Lobe Gottes und zur Erbauung der Gemeinde“ hat 2 Manuale und Pedal, 26 klingende Register und 3 gemischte Stimmen von mehr als zwei Chören.
Kleine Chronik der Orgel
- 1888 von den Gebrüder Peternell in Seligenthal gebaut
- 1925 Überholung durch die Firma Euler
- 1965 Umbau auf Elektrofizierung, Klangveränderung durch die Firma Euler
- 1988/89 Renovierung: Windladen der Orgel aus Wolfhagen wurden durch die Firma Lötzerich / Ippinghausen eingebaut. Durch den bestehenden Wartungsvertrag konnte die Firma Krawinkel / Deisel nach dem Tod von Hr. Lötzerich die anstehenden Arbeiten übernehmen.
- 1991 Einweihung der renovierten Orgel
- 2008 Reinigung und Neuintonation der Orgel durch die Firma Krawinkel.
Maßnahmen im Sommer 2008 (bis zum 1. Advent) – Sanierungsmaßnahme mit Neuintonierungam Orgelwerk
- Teilausbau des Instrumentes bis auf die Windladenebene
- Ausbau des gesamten Pfeifenwerkes sowie des Schwellwerkgehäuses
- sorgfältige Reinigung aller Orgelpfeifen und Werkteile
- Reinigung der Windladen und der Windanlage
- Instandsetzung der Spieltraktur
- Überarbeitung der Ventilfedern
- Nachbesserung der Registermagnete
- Versiegelung und Politur der Pedal- und Manualklaviatur
Intonation und Stimmung
Da die bisherige Intonation auf die damals vorherrschende neobarocke Klangvorstellung „zurechtgestutzt“ wurde, war die Intonation dem Zeitgeist entsprechend fundamentlos und mager angelegt. Nach dem Wiederaufbau wurde daher jedes Register sorgfältig „neu“ intoniert, um den kraftvollen und gravitätischen Klang wieder zu gewinnen. Die vormalige „romantische“ Intonation der historischen Register bildete die Grundlage für die Intonation. Die Einstimmung der Orgel erfolgt im Normalton a’: 439,7 Hz bei 15°C.
Kosten der gesamten Maßnahme 26.800 Euro
„Jeglicher fremde Einfluss auf die Architektur des Gebäudes soll vermieden werden“, so lautet der Tenor einer Diskussion über das neue Beleuchtungskonzept. Dann erwähnte der landeskirchliche Architekt Rudolf Toursel einen Leuchter aus der Zeit um 1888, der auf dem Dachboden seiner Wolfhager Heimatkirche liegen solle. Auch an dieser Kirche hatte Gottlob Ungewitter die Planung und Bauleitung der neugotischen Umgestaltung (1862 bis 1864) geleitet. Der Leuchter stammt aus dem Jahr 1880 und passt perfekt in die Wanfrieder Kirche.
Heute rückt dieser besondere Leuchter den Kirchenraum ins rechte Licht. Als Dauerleihgabe wurde er der Wanfrieder Gemeinde von der Wolfhagener Gemeinde auf unbestimmte Zeit zur Verfügung gestellt. Der achtgliedrige Radleuchter symbolisiert die Auferstehung Jesu Christi und die Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde.
Firma Peter Israel und der Geschichtsverein Wanfried stifteten 1921 die Gedenktafeln für die Gefallenen des Ersten und Zweiten Weltkrieges. In der Kirche befinden sich sieben Tafeln mit insgesamt 280 Namen – zum Gedenken aller Kriegsopfer auf Erden. Über den vorderen Portalen befinden sich zwei Psalmzitate. Das eine preist „die Wohnung“ Gottes als Ort seiner Gegenwart. Im anderen Psalmzitat wird selig gesprochen, wer Gottes Wort hört und danach lebt. Raum und Inhalt werden so zu einander in Bezug gesetzt.
Der Altarraum ist der Ort der Vereinigung von Gott und Mensch. Früher war das Allerheiligste nur den Priestern zugänglich. Aber durch Jesu Sühnetod wird den Menschen in der Taufe die Erlösung zum ewigen Leben verheißen – und damit die ewige Gemeinschaft mit Gott. Alle Getauften sind eingeladen, sich im Sakrament des Abendmahls am Altar stärken zu lassen und sich mit Gott und den Menschen zu verbinden – als Versöhnte, als Schwestern und Brüder, als Kinder Gottes.
Auch in der Wanfrieder Kirche glänzt der Altarraum durch seine vielfältige und dichte Ausmalung. Die Bemalung über dem Altar soll das Himmelszelt darstellen. Im Hauptfenster befinden sich die Darstellung der Christianisierung und die Wappen Deutschlands, Preußens, Hessens und der Stadt Wanfried. Der Sockel darunter ist mit einem gemalten Wandbrokat belegt. Den Höhepunkt der Ausmalung des Altarraumes bildet der Schlussstein. Er zeigt eine Taube als Symbol des Heiligen Geistes, der im Glauben wirkt und lebendig macht.
„Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken!“, die Worte Jesu (Mt. 11, 28) zieren den umlaufenden Sandsteinsims hinter dem Altar. Sie laden die versammelte Gemeinde ein, sich am Altar durch Wort und Sakrament stärken zu lassen.
Am 30. März 1962 wurde eine umfassende Renovierung der Kirche beschlossen. Das Ergebnis begleitete die Besucher des Gotteshauses 45 Jahre lang. 40.000 DM kosteten die Innenarbeiten, die der Kunstmaler Landgrebe aus Kassel in Gemeinschaftsarbeit mit drei Wanfrieder Firmen ausführte. Zitat aus der Werra-Rundschau 1962: „… Alles ist schlicht und einfach gehalten, und das große Kirchenschiff wirkt jetzt viel heller und freundlicher.“
Erst im Jahr 2007, als die Kirche einen neuen Anstrich benötigte, fanden Fachleute bei einer restauratorischen Voruntersuchung unter einer Schicht Leimfarbe die ursprüngliche Ausmalung. Diese schien sehr gut erhalten. Die Entscheidung, die ursprüngliche Bemalung zu rekonstruieren, wurde getroffen. Die Kirche sollte wieder so gezeigt werden, wie sie einst von Architekten, Handwerkern und Künstlern erschaffen worden war. Kirchenmaler und Vergolderinnen machen sich ans Werk. Gut erhaltene Muster wurden freigelegt, Fehlstellen Strich für Strich in mühsamer Feinarbeit ergänzt. Diese millimeterfeine Strichretusche stellt gegenüber der flächigen Übermalung eine Herausforderung in Sachen Geduld und ruhiger Hand dar. Einige Monate hatten die Kirchenmaler damit zu tun.
Der Kassler Dekorationsmaler Reinhard Hochapfel (1823-1903) schuf mit der Ausmalung der Kirche seinerzeit ein Kunstwerk. Mit seinen Schablonen, seiner Farbwahl, seinem Gespür für die Gedanken der Menschen, die diesen Raum betreten würden, hinterließ er etwas Einzigartiges. Es war das Zeitalter der Ornamentik und Farbe. „Deckenflächen belebt man mit goldenen und silbernen Sternen, die Wände des Altarraumes bemalt man in dem unteren Teil etwa 1,50 bis 2 Meter hoch mit einem in kräftigen Farben gehaltenen Teppichmotiv, das kirchliche Muster enthalten soll“, so steht es auch im Handbuch für Zimmer- und Dekorationsmaler von 1909 geschrieben.
Reich stilisiert und dennoch leicht in ihrer Wirkung, verstärkt sich die Intensität der Deckenbemalung jeweils auf die Schlusssteine hin. Für eine solche Kunst brauchte der Künstler eine ruhige Hand. Dabei sei erwähnt, dass Ende des 19. Jahrhunderts die Gerüste, auf denen sich die Künstler bewegten, ebenfalls einem Baukunstwerk glichen. Ohne festen Stand hätte es keine solche Verzierung geben können. Hochapfels reiche Phantasie zeigt sich in wunderbarer Ornamentik, rahmt Fenster, ziert sämtliche Rippen zu den Gewölbekappen, formt das sternenreiche Universum über dem Altar.
Feinstes Blattgold belegt Rippenansätze, umschließt florale Muster und das goldene Kreuz über dem Altarraum. Das Gewölbe erinnert an die Weite des Himmels und zugleich an die heilsame Begrenzung menschlicher Möglichkeiten und menschlichen Lebens. Zeitlichkeit und Ewigkeit, Menschliches und Göttliches kommen zusammen.
Die Kirche ist dann vollendet, wenn Glockenschläge die Lebenden rufen und die Toten zu Grabe geleiten. Die Wanfrieder Kirche hatte immer schon drei Glocken. Die ältesten stammten aus dem 15. Jahrhundert, die dritte aus dem Jahr 1503 soll die schönste gewesen sein. Sie trug die Inschrift: A + O W.+++ Anno M D III (Alpha + Omega: ich bin der Anfang und das Ende; nach Wanfried gehöre ich; Im Jahr 1503).
In den Jahren 1703 bis 1815 mussten diese nach und nach umgegossen werden. Im Jahr 1917 wurden zwei Glocken dem Ersten Weltkrieg geopfert und eingeschmolzen. Nach einem letzten Läuten wurden die Glocken zerschlagen, das herrliche Geläut zertrümmert. Und „das klingende Klagen der Zerstörung legte sich über alle Dächer und Straßen der Stadt und trieb manchem die Tränen in die Augen“, heißt es in der Chronik. Am 30. September 1921 wurden zwei neue Glocken am Wanfrieder Bahnhof in Empfang genommen. Doch auch im Zweiten Weltkrieg, im Januar 1945, wurden die Glocken aus dem Jahr 1815 und 1921 in Stücke geschlagen und aus dem Turm geworfen. Am Heiligen Abend 1950 konnten zwei neue Glocken eingeweiht werden. Eine trägt die Inschrift: „Gewalt vergeht, das Schwert zerbricht, Gott führt allein durch Not und Licht, Oh Land, Land, Land, höre des Herrn Wort.“
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